„Die Circular Economy ist nicht einfach nur eine Erhöhung des Recyclinganteils – sie ist eine Möglichkeit, Produkte und Lösungen komplett neu zu denken.“
Im Rahmen unseres Fokusmonats Kreislaufwirtschaft haben wir mit Thomas Ungefug, Senior Nachhaltigkeitsberater bei Fokus Zukunft, gesprochen. Er und das Team begleiten Unternehmen auf dem Weg zu zirkulären Geschäftsmodellen und entwickeln gemeinsam mit ihnen Dekarbonisierungsstrategien. Er kennt die Chancen – aber auch die Stolpersteine – genau. Im Interview erklärt er, warum der Wandel von linear zu zirkulär so dringend notwendig ist – und wo die größten Potenziale für Innovation und Zukunftsfähigkeit liegen.
Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die lineare Wirtschaft auf einem Einbahnstraßenprinzip basiert. Das heißt: Wir entnehmen Rohstoffe aus der Natur, erzeugen Produkte daraus und werfen sie nach ihrer Nutzung weg – nach dem Motto: verkaufen und vergessen. Die Ressourcen sind in den meisten Fällen unwiederbringlich verloren.
Die Kreislaufwirtschaft hingegen verfolgt das Ziel, Rohstoffe und Produkte ständig in Kreisläufen zu halten, Produkte nach möglichst langer Nutzungszeit wieder aufzubereiten und den Wert von Rohstoffen zu erhalten. Also quasi mehr das Prinzip Kreisverkehr, um bei dem vorherigen Vergleich zu bleiben.
Es gibt viele Gründe dafür. Allen voran sind unsere Ressourcen auf diesem Planeten begrenzt. Das ist auch aus wirtschaftlicher Sicht langfristig ein Problem. Sehr viele Produkte beinhalten endliche Rohstoffe, die im Laufe der kommenden Jahre immer knapper werden. Selbst vermeintlich einfache Rohstoffe wie Kupfer werden durch die Energie- oder Mobilitätswende stark beansprucht.
Ein weiterer Grund sind die problematischen Nebeneffekte der linearen Wirtschaft auf Ökosysteme und Natur. Zwei Drittel aller Umweltschäden entstehen im Umgang mit Material. Das heißt: Negativer Impact – sei es CO₂-Ausstoß, Biodiversitätsverluste oder Wasserknappheit – entsteht vor allem durch die Erzeugung und Fertigung von Rohstoffen und Produkten in unserer linearen Wirtschaft.
Die Kreislaufwirtschaft ist hier der konkrete Gegenentwurf: Wirtschaft kann profitabel sein und gleichzeitig Wachstum vom Ressourcenverbrauch und von negativen Umweltauswirkungen entkoppeln. Also quasi ein Green-Growth-Modell für langfristiges Wachstum auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen.
Die größten Chancen bestehen im Innovations- und Wachstumspotenzial zirkulärer Geschäftsmodelle. Denn die Circular Economy ist nicht einfach nur eine Erhöhung des Recyclinganteils beim Materialeinkauf. Es ist vielmehr eine Möglichkeit, Produkte oder Lösungen durch die R-Prinzipien der Circular Economy neu zu denken.
Jedes dieser Prinzipien – Reuse, Refurbish, Remanufacturing, Repair, um einige zu nennen – sind potenzielle neue Geschäftsfelder und Formen der Wertschöpfung für Unternehmen. Das Schöne daran ist: Gerade für die deutsche Wirtschaft, in der viele Unternehmen auf qualitativ hochwertige Produkte setzen, ist das eine große Chance. Denn Qualität ist – neben anderen Aspekten von Circular Design – ein starker Enabler für profitable, zirkuläre Geschäftsmodelle.
Warum ist das so? Die Geschäftsmodelle der Kreislaufwirtschaft basieren auf Langlebigkeit und auf der Bepreisung von Performance statt von Stückzahlen (wie in der klassischen Betriebswirtschaftslehre). Das Prinzip Reuse oder Resell funktioniert dann am besten, wenn der Wiederverkaufswert aufgrund der Produktqualität hoch ist. Wenn weitere Prinzipien wie Repair, Refurbishment oder Remanufacturing hinzukommen, sinken die Kosten der Wiederaufbereitung – ebenfalls aufgrund von hoher Produktqualität oder gutem Design.
Heißt konkret: Die Kombination aus hohem Restwert nach dem ersten Lebenszyklus und geringem Aufwand bei der Wiederaufbereitung ist essenziell für die Rentabilität solcher Modelle. Natürlich kommen noch weitere Aspekte hinzu – etwa die Auswahl der Materialien oder die generelle Wiederaufbereitbarkeit, Recycelbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten.
Der Ausbau der Kreislaufwirtschaft bietet Unternehmen also die Chance, ihr Qualitäts-USP weiter auszubauen, sich vom Wettbewerb abzuheben und einen konkurrenzfähigen Gegenentwurf zur günstigen Wegwerfware zu bieten. Neben diesen Geschäftsmodell-Potenzialen bestehen weitere Vorteile wie Kosteneinsparungen durch Ressourceneffizienz oder eine höhere Resilienz in der Lieferkette – da die eigenen Produkte durch End-of-Life-Management zur Ressource der Zukunft werden.
Aber es gibt natürlich auch viele Herausforderungen bei der Umsetzung dieser Transformation. Viele Unternehmen haben im Teil „Circular“ viele Ideen – aber scheitern am Teil „Economy“. Essenzielle Aspekte wie die Einbindung von Stakeholdern, das Denken in Wertschöpfungsnetzwerken, Kostenkalkulationen über mehrere Lebenszyklen hinweg oder die Generierung eines klaren Kundennutzens sind bekannte Stolpersteine auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft.
Insbesondere die Kundenperspektive ist entscheidend. Es geht darum: Wie können zirkuläre Lösungen von Anfang an an echten Kundenbedarfen entwickelt werden, um eine echte Akzeptanz am Markt zu erreichen? Der wichtigste Erfolgsfaktor ist – wie bei jeder neuen Geschäftsmodellentwicklung – die Einbindung der Kunden in Pilotierungsprozesse als „Realitätscheck“ und Lernschleife. Welchen Vorteil hat ein zirkuläres Produkt gegenüber einem konventionellen, linearen? Gibt es neue Anreize zur Nutzung? Werden Bedürfnisse besser befriedigt – oder entsteht womöglich Mehraufwand für die Nutzer*innen?
Die Umsetzung von Kreislaufwirtschaft darf man sich nicht wie einen Lichtschalter vorstellen, den man einfach an- oder ausschaltet. Sie ist ein langwieriger Prozess mit vielen Iterationsschleifen, der stetig weiterentwickelt werden muss.
Ein wichtiger Aspekt ist die Unterscheidung zwischen Improve und Innovate. Die meisten Unternehmen starten mit Recycling als Erstverständnis der Kreislaufwirtschaft – nach dem Motto: „Ich erhöhe den Recyclinganteil meiner Rohstoffe“ oder „Ich fokussiere mich auf die Recyclingfähigkeit meiner Produkte“. Das ist nicht falsch, aber letztlich nur eine Verbesserung des bestehenden Modells – und ein sehr kleiner Teil des Innovationspotenzials.
Hinzu kommt: Recyclingmaterial ist in den meisten Anwendungsfällen teurer als Frischmaterial. Oft entsteht nur eine Art Pseudokreislaufwirtschaft, da die daraus erzeugten Produkte selten einen zweiten Lebenszyklus in derselben Anwendung durchlaufen. Die meisten Recyclingprozesse sind zudem sehr aufwändig und erhalten die Materialqualität nicht – wir sprechen hier eher von Downcycling, weil Materialwert verloren geht und neues Virgin-Material zugeführt werden muss.
Um Kreislaufwirtschaft als echte Innovation zu verstehen, braucht es ein ganzheitliches Verständnis der Potenziale – also zu wissen, wo R-Prinzipien wie Rethink, Reuse, Repair, Refurbishment oder Remanufacturing überhaupt sinnvoll anwendbar sind. Das funktioniert gut mit einer Materialflussanalyse der eigenen Wertschöpfungskette – inklusive aller Stakeholder.
Wenn man daraufhin die R-Prinzipien anwendet, wird schnell deutlich, wie viele Anknüpfungspunkte entstehen – und dass Recycling tatsächlich nur ein kleiner Teil dessen ist, was möglich wäre. Die echten Potenziale stecken in der parallelen Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells, das von Anfang an von geschlossenen Kreisläufen profitiert. Dazu gehören Rückwärtslogistik, Wiederaufbereitungsprozesse und die Möglichkeit, Profite über mehrere Lebenszyklen hinweg zu generieren.
Auch wenn das zunächst komplex wirkt: Bereits die ersten Schritte zeigen oft die Low-hanging Fruits. Sobald ein Use Case mit hohem Potenzial identifiziert ist, kann ein iterativer Lernprozess im kleinen Maßstab beginnen. Erst dann entstehen die wichtigen Learnings auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft.