Montag, 01.07.2019, 11:54 - focus.de Flo Karr on Unsplash Wir haben nicht mehr viel Zeit. „There is no planet B”, warnen Experten, Umweltschützer, Klimaaktivisten und Politiker seit Jahren. Die Menschheit fügt der Erde mit ihrem Konsumverhalten und ihrem Dasein erheblichen Schaden zu. Wissenschaftlern zufolge wären die Folgen des Klimawandels nicht mehr kontrollierbar, wenn die Erderwärmung die 2-Grad-Marke überschreitet - und das nicht nur in Bezug auf Wetterextreme. Der Klimawandel und das damit einhergehende Artensterben sind nicht nur ein Umweltthema, sondern beeinflussen auch Entwicklung, Wirtschaft, politische Stabilität und soziale Aspekte wie Flüchtlingsströme. Neben Politik und Wirtschaft ist auch jeder Einzelne gefordert, seinen Beitrag zu leisten. Viele fragen sich, was sie tun können. Im Themenschwerpunkt Nachhaltigkeit geht FOCUS Online der Frage nach, was es wirklich bringt, wenn der einzelne Bürger seinen Lebensstil verändert und versucht, nachhaltiger zu leben. Der Einzelne kann nicht die Welt retten – aber muss dennoch etwas tun Michael Bilharz, Nachhaltigkeitsexperte beim Umweltbundesamt, gibt auf diese Frage zunächst eine simple, wenn auch unbefriedigende Antwort: „Beide Seiten müssen etwas tun. Die Politik muss etwas tun und die Bürger müssen etwas tun. Und beide Seiten sind auf die andere Seite angewiesen”, sagt Bilharz. Der Einzelne könne die Welt nicht retten - es gehe vielmehr darum, die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass klima- und umweltfreundlicher Konsum zum Standard, zum Normalfall wird. Aber um das zu erreichen, könne und müsse auch jeder Einzelne aktiv werden. Gesamtbilanz statt Einzelmaßnahmen Aber wo anfangen? Das Sammelsurium an Entscheidungen im Alltag, die wir vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz treffen können, ist nahezu endlos. „Wichtig ist zu bedenken, dass es nicht auf die Einzelmaßnahme, sondern auf die Gesamtbilanz ankommt“, sagt Nachhaltigkeitsexperte Bilharz. Wenn man heute auf eine Autofahrt verzichte, aber morgen dafür eine zusätzliche Fahrt mache, dann ist für das Klima nichts gewonnen, obwohl man ja tatsächlich eine klimafreundliche Einzelmaßnahme umgesetzt habe. „Unsere Gesamtbilanz verbessern wir aber statt durch Einzelmaßnahmen viel dauerhafter durch Strukturveränderungen im Alltag.” Fokus auf CO2-Fußabdruck Wer Entscheidungen vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit treffen wolle, für den lohne es sich, vieles mit einem Klima- und CO2-Fokus zu betrachten. „Das Schöne ist, dass man dabei in der Tendenz die meisten anderen Umweltprobleme mitadressiert. Wer beim persönlichen Engagement auf die Big Points des Klimaschutzes achtet, der liegt auch in Sachen Nachhaltigkeit ganz gut im Rennen.” Das sind die „Big Points“ Als diese "Big Points" im Konsum jedes Einzelnen nennt Bilharz die großen Überthemen Energie, Wohnen, Mobilität und Ernährung. Ein Deutscher verursacht Jährlich im Schnitt11,6 Tonnen Treibhausgasemissionen Davon entfallen laut Umweltbundesamt durchschnittlich:
Anbei ein paar konkrete Beispiele, was jeder von tun kann – und was das bewirkt: 1. Erneuerbare Energien (Ökostrom, Ökobank, Energieeffizienz): Auf Ökostrom umzusteigen lohnt sich, wenn man nachhaltiger leben will, weil man dadurch sofort den kompletten Strom CO2 frei bezieht. Wer zu einer Öko-Bank wechselt, kann ebenfalls einiges an CO2 einsparen. Ungefähr 1000 Euro auf dem Sparbuch einer Öko-Bank vermeiden 200 Kilogramm CO2-Emissionen, denn die Einlagen der Kunden fließen bei Öko-Banken in Form von Krediten zwar auch in die Realwirtschaft – aber an Unternehmen und Institutionen, die einen nachhaltigen Mehrwert schaffen. So finanzieren sie zum Beispiel Erneuerbare Energien. Ähnliches gilt für den Kauf von Haushaltsgroßgeräten. “Wer sich beim Kauf von Waschmaschine oder Kühlschrank für die A+++ Energie-Effizienz-Variante entscheidet, hat die nächstens 10, 15 Jahre einen deutlich geringeren Stromverbrauch – und dementsprechend auch geringere CO2-Emissionen”, sagt Bilharz. Wem das nicht genügt, der kann Direktinvestitionen in erneuerbare Energien tätigen, sich an Bürgerenergiegenossenschaften beteiligen oder eine eigene Solaranlage aufs Hausdach bauen. 2. Wohnen (Wärmedämmung und Heizoptimierung): Heizoptimierung und Wärmedämmung sind hier die relevanten Stichwörter. Bilharz erklärt, dass umweltbewusstes Heizen im Winter viel CO2 sparen kann. Wer neu baut, kann auf die richtige Wärmedämmung achten. Die Auswirkungen eines nachhaltigen Wohnverhaltens sind hoch. Individuell berechnet werden kann das am besten mit einem CO2-Rechner. Aber um ein Beispiel zu nennen: Wer in einem Passivhaus auf einer Wohnfläche von 20 Quadratmetern wohnt, kann dadurch jährlich zwei Tonnen CO2 einsparen. 3. Mobilität (Carsharing, E-Mobilität): Auch hier könne der Einzelne vorangehen, sagt Bilharz. Technische Möglichkeiten und Angebote gibt es bereits viele – unter anderem E-Mobilität oder Carsharing. Und auch, wer einen Benziner kaufe, könne mehr oder weniger umweltbewusst handeln. “Es geht um den spezifischen Kraftstoffbedarf. Wenn ich da einmal die Spar-/Effizienzvariante wähle, habe ich für die kommenden Jahre auch eine Energieeinsparung miteingekauft.” Was der Einzelne tue, könne beim Thema Mobilität eine große Wirkung haben, betont der Nachhaltigkeitsexperte. Eine große Rolle spielt hierbei natürlich auch das Fliegen. Ein Beispiel: Wer einmal im Jahr nach New York fliegt und täglich 20 Kilometer mit dem Auto pendelt, verprasst dabei 5,4 Tonnen CO2. 4. Ernährung (Fleischverzicht): Beim Thema Ernährung spielt vor allem eine Sache eine riesige Rolle: Fleischkonsum und der Konsum tierischer Produkte. Auf unsere Ernährung fallen durchschnittlich 1,7/ 1,8 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr. Wer vegetarisch lebt, senkt diesen Wert auf rund 1,3/1,4 Tonnen. Wer vegan lebt, kann weitere 400 Kilogramm CO2 einsparen. Aber auch der Kauf von Bio-Produkten oder saisonalen Produkten hat Auswirkungen, wenn sie auch geringer sind. Themen wie Gewässerschutz, der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und Artenschutz spielen hier eine wichtige, die Umwelt entlastende Rolle. CO2-Bepreisung: Für 250 Euro lassen sich die kompletten CO2-Emissionen eines Durchschnittsdeutschen kompensieren Auch bei der CO2-Bepreisung kann der Einzelne vorangehen. “Freiwillige Kompensation ist nichts anderes, als zu sagen: 'Ich bin bereit, einen fairen Preis für die CO2-Emissionen eines Flugs zu bezahlen'”, erklärt Bilharz. Und wer will, kann seine kompletten CO2-Emissionen kompensieren. Durch die Kompensationszahlung werden nachhaltige Projekte unterstützt - hier finden Sie verschiedenen Klimschutzprojekte: www.fokus-zukunft.com/klimaschutzprojekte.html Besser sei es trotz allem, weniger zu verursachen, betont der Experte. Die durchschnittlichen pro Kopf CO2-Emissionen im Jahr liegen in Deutschland bei 11,6 Tonnen. “Wer das komplett kompensiert, gibt je nach Anbieter, rund 250 Euro aus und bekommt dafür bei gemeinnützigen Anbietern eine Spendenbescheinigung”, sagt Bilharz. Klima- und umweltfreundlicher Konsum darf nicht Zufall sein, sondern muss Standard werden
Klar ist also: Es gibt zahlreiche Stellschrauben, den Alltag nachhaltiger zu gestalten. Aber können wir so wirklich unseren Planeten retten? Jede kleine Alltagsentscheidung können wir umweltfreundlich oder weniger umweltfreundlich gestalten. Aber Bilharz betont, dass eine riesige Varianz in den Wirkungen der einzelnen Maßnahmen existiere. Coffee-to-go-Becher wiederzuverwenden oder auf in Plastik verpackte Gurken zu verzichten sind Maßnahmen, bei denen es um das Einsparen weniger Gramm CO2 geht. Unterm Strich hat hier die Umweltwirkung für die Gesamtbilanz keinen signifikanten Einfluss. Wer aber bei Flugreisen oder über Investitionen in Erneuerbare Energien, freiwillige Kompensationszahlungen oder Gebäudesanierung einspart, spart Tonnen an CO2 ein. ”Idealerweise können wir alles umsetzen, aber faktisch haben wir nicht die Zeit, nicht die Nerven, oft nicht das Wissen und in vielfacher Hinsicht sicherlich auch nicht den Willen dazu”, fasst Bilharz zusammen. Deshalb brauche es Rahmenbedingungen, die klima- und umweltfreundlichen Konsum nicht dem Zufall überlassen, sondern zur Standard-Option mache. “Erst dann wird die Masse, werden wir alle klimafreundlicher leben. Wenn die Energieversorgung in Deutschland auf 100 Prozent erneuerbare Energien im Verkehr, Wärme und Strombereich umgestellt ist, dann haben wir bereits 85 Prozent der heutigen Treibhausgasemissionen weg." Aber damit es dazu kommt, müssten wir als Verbraucher wie auch als Bürger entsprechende Signale in den Markt und in die Politik senden. “Die Politik braucht Pioniere, die zeigen, es geht, die zeigen, wir sind bereit.”
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